LV   EN   DE
 Über die Stiftung
 Restauration
 Kathedrale
  - Geschichte
  - Finnische Jäger
  - Orgel
  - Konzerte
  - Gemeinden
 Spenden
 Bildergalerie
 Unterstützer
 Kontakte
 


Dem Orgelmeister J. Kalniņš zufolge ist die nächste Aufgabe bei der Restauration der Orgel das Überkleben eines Balges, um das Luftzufuhrsystem der Orgel zu richten. Der weitere Arbeitsplan sieht die Restauration der Pfeifen, Windladen und der Mechanik vor. Für diese Arbeiten werden ungefähr 400 000 Lat benötigt. Es muss mit den Teilen begonnen werden, die sich in einem kritischen Zustand befinden - das Brustwerk oder 3. Manual. In diesem befinden sich die ältesten Teile der Orgel. Notwendig ist die Restauration der Mechanik des 3. Manuals und des Ventilkastens der Windladen, was die neue Belederung der Ventile und die Regulierung der Mechanik einschließt.

‍Schrittweise ist auch eine Dokumentation der Orgel nötig. Der erste Schritt ist die Dokumentation und Konservierung der Pfeifen des Orgelregisters Fagott 16'. Der nächste Schritt wäre die Dokumentation der Teile von H.A. Contius, der die Dokumentation der Teile Hermanns und Grünebergs folgen würde, sodass die Dokumentionsarbeiten geordnet von den ältesten zu den jüngsten Pfeifen durchgeführt werden. Die Ausarbeitung der Dokumentation würde die Erhaltung, den Schutz und die Erforschung eines unikalen kulturhistorischen Erbes in Kurzeme fördern.

Die Orgel der Hl. Dreifaltigkeitskathedrale ist in vielerlei Hinsicht eines der interessantesten Denkmäler des Orgelbaus auf der Welt – ihre Größe, Entstehungsgeschichte, optische und klangliche Schönheit begeistert Organisten, Orgelbaumeister und Zuhörer schon seit Jahrhunderten. Über die Kirche selbst schreibt Imants Lancmanis in seinem Buch „Liepaja von  Barock bis Klassik“ (Riga: Zinatne, 1983): „Liepaja ... wollte die Hauptstadt des Herzogtums übertreffen, indem es der deutschen Gemeinde eine eigene, noch stolzere Kirche errichtete - vor allem deshalb, weil in der Hl. Dreifaltigkeitskirche Jelgava wie auch in der Stadt die Gutsherren alles bestimmten und die Bürger schweigen und gehorchen mussten. In Liepaja war es anders, hier wussten die reichen Hauseigentümer um die Macht zu kämpfen und, als sie sie gewonnen hatten, in ihren Händen zu behalten. Nicht aus übergroßer Gottesfurcht, sondern weil sie sich präsentieren wollten, die Bedeutung der Stadt im feudalen Kurzeme bezeugen, schuf Liepaja diese Bürgerkathedrale, einen pompösen Paradebau, so seltsam fremd und unpassend vor dem Hintergrund hölzerner Lagerhäuser und dem besonnenen Leben der Bürger.“

Zusammen mit der Kirche war auch die Orgel mit 36 Registern fertig, die der von Kurzemes Herzog bevorzugte Orgelbauer Johann Heinrich Joachim (1696-1762) erbaut hatte. Leider war die Gemeinde mit der Orgel unzufrieden, denn der Orgelbauer war schon alt und taub und deshalb war die Orgel nicht gut gelungen. Darum wurde 1773 Heinrich Andreas Contius (1708-1786), einer der hervorragendsten Orgelbauer seiner Zeit , nach Liepaja geladen, nachdem er mit großem Erfolg die Orgel in Rigas St. Jakobskirche errichtet hatte. Über ihn ist bekannt, dass Johann Sebastian Bach (1685 – 1750) selbst ihn 1748 Johann Gottlieb Graun (1703 – 1771) für den Bau einer neuen Orgel in Halle als besten Kandidaten empfohlen hat, und ihn mehr geschätzt hat als Zacharias Hildebrandt (1688 – 1757), den Star des Orgelbaus seiner Zeit. Wahrscheinlich war es der gute Ruf des Meisters, der die Besteller geduldig warten und oft mehrere Jahre überschrittene Fristen ertragen ließ. Zusammen mit dem Neubau der Orgel in Liepaja, baute er auch die Orgel im Rigaer Dom, weswegen die Liepajas Einwohner ganze sechs Jahre auf ihre warten mussten. Von der alten Orgel Joachims verwendete Contius das Prospekt und den Korpus; wie A. Melbāržs’ Inventur der Pfeifen zeigt, hat er von Joachims Orgel auch viele Pfeifen an der Innenseite erhalten. Contius’ Orgel wurde 1779 vollendet, sie hatte nun 38 Register und Liepajas Einwohner waren endlich zufrieden mit ihrer Orgel. Von ihr begeistert war Abt Georg Joseph Vogler (1749 – 1814), der am 9.Juli 1788 in Liepaja konzertierte.

Dennoch muss man sagen, dass wir in Lettland wohl kaum eine andere Kirche finden, auf die der Spruch „Ein echtes Kunstwerk ist nie vollendet” besser zuträfe. 1844 führte der Orgelbauer Carl Paul Otto Hermann (1807 – 1868) aus Liepaja, Organist an der St. Annen-Kirche, die erste Erweiterung durch. Damit begann eine ununterbrochene Erweiterung der Orgel und in den Jahren bis 1877, in denen Carl Alexander Hermann (1848 – 1926) die Arbeit seines Vaters fortsetzte, war die Orgel mit ihren 79 Registern und 4 Manualen genau doppelt so groß wie Contius’ Instrument und wahrscheinlich die größte Orgel nicht nur in Kurzeme, sondern in allen baltischen Gubernaten des damaligen Russischen Reiches.

Es scheint, dass man die Orgel nun für vollendet erklären konnte, aber nicht so die Einwohner Liepajas und Kantor Adolph Wendt (1819– 1886)! 1882 stellte der Rigaer Rat eine ernste Herausforderung: Er gab W.F. Walkers Firma in Ludwigsburg den Auftrag für den Rigaer Dom die größte und modernste Orgel der Welt zu bauen. Die Firma tat dies auch, doch die großartige Domorgel hielt diesen Status nur ein Jahr lang, denn im Dezember 1885 beendete Karl Barnim Theodor Grüneberg (1828 – 1907) die regelmäßige Erweiterung der Orgel in Liepaja, wodurch die Orgel nun 131 eigenständige Stimmen hatte (der Rigaer Dom nur 119) und damit zur größten Orgel der Welt wurde, was eine Porzellanplakette über dem vierten Manual sehr prahlerisch (und wahr!) bestätigt. Von der noch nicht genügend gewürdigten wahren Intelligenz des Stettiner Orgelbauers zeugt seine außerordentliche Pietät vor dem Werk seiner Vorgänger: ähnlich wie an vielen anderen Orten Europas, wo er Orgeln erweitert hat, erhielt er auch in Liepaja alles, was seine Vorgänger angefertigt hatten, praktisch unverändert. Er baute ein komplett neues Hauptmanual mit 42 Registern und die Barkermaschine an, und fügte dem Pedal 10 weitere Register hinzu. Dabei versuchte er, sich dem handwerklichen Stil der alten Teile anzunähern, sodass man den Unterschied auf den ersten Blick nicht bemerken kann! Auch die Erweiterungen des Prospektes im Seitenschiff, die sich großartig in den Gesamtstil einfügen, sind auf einem so hohen künstlerischen Niveau, dass ein Unwissener denken mag, dass die Orgel schon seit der Einweihung des Gotteshauses 1758 so ausgesehen hat. Die erweiterte Ogel wurde am 13. Dezember  1885 eingeweiht.

Der Orgel von Joachim, Contius, Vater und Sohn Hermann und Grüneberg war es ein wenig länger vergönnt, den Ruhm der größten Orgel der Welt zu halten: bis 1912, als man in Hamburgs Michaelskirche ein noch größeres Monster errichtete. Aber das war schon das 20. Jahrhundert, als überall Elektrizität Einzug erhielt. Die Ventile dieser Riesenorgel öffnen unter den Pfeifen Elektromagnete und die Finger des Organisten verbinden nur die Kontakte. In Liepaja hingegen sorgt ein kompliziertes mechanisches Übertragungssystem für die Öffnung der Ventile, das auf jede Tastenberührung des Organisten reagiert. Deshalb wird es wohl kaum jemandem gelingen, dem Instrument den Ruhm der größten mechanischen Orgel der Welt wegzunehmen. Wenn man die Tätigkeit des Organisten an der Orgel betrachtet, wird sogar einem Unwissenden klar, dass dies schwere körperliche Arbeit ist – wie auch nicht, wenn bei voller Orgel mit einer Pedaltaste 32 Ventile geöffnet werden müssen!

Aber es ist nicht nur die Größe, weswegen diese Orgel in die Reihe der bedeutendsten Denkmäler ganz Eiropas und sogar der Welt einzuordnen ist:

1) Hier ist der einzige Ort auf der Welt, wo noch immer die von J.S. Bach so hoch geschätzten Register von Contius erklingen und die von ihm angefertigte Mechanik und Windladen arbeiten.

2) Interessant ist, dass die Mechanik der Orgel im Grunde nicht einmal umgebaut worden ist, nur erweitert, indem man neue Elemente integrierte. Ungeachtet der langen Bauzeit – ganze 127 Jahre, ist am Ende eine sehr gut strukturierte Orgel entstanden, wo alle Pfeifen einen guten Zugang haben, die Mechanik bewundernswert sicher und präzise arbeitet - den langen mechanischen Antrieben zum Trotz (bis zu den entferntesten Pfeifen erreichen die mechanischen Antriebe eine Länge von 13 Metern), die Regulierung und Wartung der Mechanik ist einfach.

3) Bewundernswert ist das Luftzufuhrsystem: Zusammen hat die Orgel 10 riesige Bälge und außerdem eine Luftpumpmaschine mit 8 Bälgen im Turmraum. Der Luftbedarf beträgt etwa 120 m³ pro Minute. Und wenn die Elektrizitätsversorgung abreißt, ist es immer noch möglich, mit Hilfe von zwei Tretern auf den 1877 vollendeten Orgelteilen mit 79 Registern zu spielen.

4) Jedoch für die größte Überraschung und Begeisterung sorgt immer noch der Klang. In der Intonation jedes einzelnen Registers kann man die persönliche Handschrift der Meister wahrnehmen. Obwohl an der Orgel Meister mehrerer Generationen gearbeitet haben, ist ihr Klang bewundernswert einheitlich. Die älteren Register von Contius klingen sehr gut zusammen mit den neueren Grünebergs; die unnachahmlichen Flöten- und durchdringenden Zungenregister der Hermanns schaffen den besonderen Klang, der mit keinem anderen Instrument zu verwechseln ist. Der Reichtum der verschiedenen Register und ihrer Kombinationen ist unerschöpflich.

Das Restaurationsprogramm der Orgel sieht vor, dieses Instrument in seinem Zustand von 1885 zu restaurieren, tas heißt, dass einige unwichtige Umbauten neuerer Zeit demontiert werden müssen. Nach Beendung der Arbeiten werden einige noch etwas heisere Register in ihrer ganzen Pracht aufleben und zu Liepajas Internationalem Festival der Orgelmusik kommen vielleicht internationale Wettbewerbe für Organisten, denn diese Orgel ist wahrlich eine Herausforderung für jeden Musiker!

SOLI DEO GLORIA

Jānis Kalniņš, Orgelbauer und Restaurateur

Bei Verwendung/Weiterpublizierung ist ein Verweis auf den Autor und http://trisvienibasfonds.lelb.lv nötig.

 
All rights reserved © 2007. Created by MB Studija»